OLG Hamm: Pflichtteilsstrafklausel in einem gemeinschaftlichen Testament verhindert Errichtung eines Behindertentestaments nach Tod des ersten Elternteils

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Das Oberlandesgericht Hamm hat entschieden, dass die in ein gemeinschaftliches Testament übernommene Pflichtteilsstrafklausel nach dem Tod des Erstversterbenden im Falle der Geltendmachung des Pflichtteils die wirksame Errichtung eines sogenannten „Behindertentestaments“ verhindert.

In dem der Entscheidung zugrundeliegendem Sachverhalt hat ein Ehepaar ein gemeinschaftliches Testament errichtet. In diesem setzten sie sich gegenseitig zu Alleinerben ein, die Kinder des Ehepaars schließlich sollten die Erben des zuletzt versterbenden Elternteils sein. Ebenfalls wurde eine Pflichtteilsstrafklausel aufgenommen. Sollte ein Kind nach dem Tod des ersten Elternteils den Pflichtteil verlangen, dann soll es auch nach dem Tod des zweiten Elternteils nur den Pflichtteil erhalten und nicht Erbe sein.

Die jüngste Tochter des Ehepaars ist seit ihrer Geburt schwer behindert, lebt in einer Behinderteneinrichtung und bezieht Sozialleistungen. Bereits nach dem Tod des Vaters 1997 machte der Sozialleistungsträger aus übergegangenem Recht den Pflichtteilsanspruch der behinderten Tochter erfolgreich gegen die überlebende Mutter geltend.

1998 errichtete die Mutter ein sogenanntes Behindertentestament. Danach setzte sie alle ihre Kinder zu gleichen Teilen als Erben ein, bestimmte jedoch, dass die behinderte Tochter lediglich Vorerbin sein solle und Nacherben die anderen Kinder. Hiermit wollte sie den Zugriff des Sozialleistungsträgers nach ihrem Tod auf das Erbe ihrer Tochter verhindern.

Nach dem Tod der Mutter 2010 verlangte der Sozialleistungsträger wiederum von den anderen Kindern für die behinderte Tochter den Pflichtteil. Dies wurde von den übrigen Kindern jedoch unter Hinweis auf das Behindertentestament abgelehnt. Danach sei die Tochter Vorerbin geworden und nicht pflichtteilsberechtigt. Somit könne der Sozialleistungsträger den Pflichtteil nicht geltend machen.

Diese Auffassung hat das OLG Hamm nicht geteilt. Durch die Pflichtteilsstrafklausel in dem gemeinschaftlichen Testament der Eltern ergebe sich, dass die behinderte Tochter durch das Pflichtteilsverlangen des Sozialleistungsträgers beim Tod des Vaters enterbt worden sei und daher nach dem Tod der Mutter auch nur den Pflichtteil verlangen könne. Hierbei sei unschädlich, dass nicht die Tochter selber sondern der Sozialleistungsträger aus übergegangenem Recht die Pflichtteilsanspruch geltend gemacht habe. Schließlich sei das Behindertentestament nicht zu Lebzeiten beider Eltern errichtet worden. Wegen der Bindungswirkung des gemeinschaftlichem Testamentes bei Tod des Vaters konnte die Mutter daher nicht anderweitig verfügen.

Hinweis: Spätestens seit der Entscheidung des BGH vom 8.12.2004 ist unstreitig, dass ein Sozialleistungsträger einen Pflichtteilsanspruch, wenn er auf ihn übergeleitet worden ist, geltend machen kann, ohne dass es auf eine Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten selbst ankommt. Dahingegen kann das Recht, eine Erbschaft auszuschlagen, nicht von einem Sozialleistungsträger ausgeübt werden, dieses steht ganz alleine dem Auschlagungsberechtigten zu. Dies gilt auch, wenn die Geltendmachung eines Pflichtteils von einer vorherigen Auschlagung abhängt. Wird diese nicht erklärt, dann kann der Sozialleistungsträger keinen Pflichtteil geltend machen.

OLG Hamm, Urteil vom 28.02.2013 (I-10 U 71/12)

 

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